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Have Fun!

Thomas Mießgang

Über den Werkkomplex „Factory/Land“ von Anita Frech

L`animal  nous regarde/ Das Tier blickt uns an: Es ist nicht eigentlich ein Tier, was da den Blick frontal in die Kamera richtet, sondern ein menschliches Wesen in einem Pelzmantel, das eine Löwinnenmaske trägt und an den Beinen einer Puppe zieht, die am unteren Rand aus dem Bild hinausragt. Die Szene spielt in einem von einer hohen Wand begrenzten herbstlichen Innenhof, vermutlich einem Industriegelände: Der Boden ist mit welkem Laub bedeckt, aus kargem Boden sprießt vereinzeltes Grün. Über den Zaun wuchern Gewächse, so als ob die Wildnis im Begriff sei, sich das zivilisierte Areal zurückzuholen. Es ist eine karnivorische, um nicht zu sagen kannibalistische Szene, wie immer man den Wesenszustand der Protagonistin deuten mag. „Das Tier blickt/geht uns an (nous regarde)“, schreibt Jacques Derrida, „und wir stehen nackt vor ihm.“ Aber auch das Menschentier/ der Tiermensch präsentiert sich auf einer Folgephotographie nackt: Der Pelzmantel hat sich geöffnet - wie eine Wunde - und lässt weibliche Brüste erkennen. Das Beutestück aus dem vorherigen Bild wurde in einer Toilette abgelegt. Bei offener Tür sieht man wieder nur die Beine, die wie Leichenteile im Sichtfeld auftauchen. Auf einem hölzernen Lattenzaun daneben steht mit roter Schrift: „Have Fun!“

Das Tier blickt uns an, schreibt Derrida. Und wir stehen nackt vor ihm: „Denken beginnt vielleicht da.“

Es geht in der Serie „Factory/Land“ um Grenzen, die thematisiert, problematisiert, interrogiert werden: Um die Grenze zwischen Mensch und Tier, um die Grenze zwischen Wildnis und domestiziertem Leben, um die Grenze zwischen dem sprachlich Fassbaren und dem Unsagbaren, um die Grenze zwischen der Nacht als Zone der existentiellen Entgrenzung und dem Tag als präsumptivem Schauplatz eines ordnungsgemäßen Lebensvollzuges, der hier allerdings durch den Einbruch eines Inkommensurablen außer Kraft gesetzt wird: Sauve qui peut la vie!

Die Künstlerin Anita Frech hat als Szenarium ihrer fotografischen Performances, die mit dem eigenen Körper als Medium durchgeführt wurden und kurz nach der Jahrtausendwende entstanden, einen Ort gewählt, der als Lustraum die Lustträume mehrerer Generationen von adoleszenten Nachtgestalten beflügelte: Die „Tanzfabrik“ in Radlberg bei Sankt Pölten war die erste Großraumdiskothek Österreichs und organisierte bis in die 1990er Jahre und weit überregional die nokturnen Ausschweifungsgelüste. Rund um das Millennium war der einstige ´Pleasure Dome` längst zu einem urbanen Ödland herabgesunken: Verwahrloste Gebäude, besudelte Fassaden, blinke Spiegel und aufgeplatzter Asphalt, durch den sich Gewächse aller Art ihren Weg bahnen: Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr.

Der Schauplatz, man könnte auch sagen: der Tatort der visuellen Attacken auf eine Gespensterwelt der Vergangenheit, die in bleichen Farben als hauntologische Projektion erscheint, verbindet zahlreiche Topoi der phantastischen Literatur, des Genrefilms, der schwarzen Romantik und der linken Gesellschaftskritik zu einem multidimensionalen Bedeutungsparadigma: Der Wald als dunkles Universum, in dem sich Räuber (auch die von Schiller) genauso ansiedeln wie die deutsche Seele, die Triebtat und das Unheimliche. (Von der Kunst der Anita Frech zur Ausstellung „The Uncanny von Mike Kelley ist im übrigen auch kein riesengroßer Schritt).

Die Fabrik als Schauplatz der minutiösen kapitalistischen Produktion, der aber trotzdem auch ein eigenartiger Zauber innezuwohnen vermag. Wenn man beispielsweise an „La Fabricca illuminata“ denkt, die beleuchtete Fabrik der Komposition von Luigi Nono, die schon durch Nennung des Titels als magischer Ort vor dem geistigen Auge erscheint und vergessen lässt, dass es in der Komposition eigentlich um harte Systemkritik geht. Gerade der Name Tanzfabrik scheint auf den ersten Blick eine contradictio in adiecto zu sein: Einerseits verweist er auf präzise getaktete, optimierte Produktionsabläufe mit dem Zweck, höchste Effizienz herzustellen, während der erste Teil des Wortes den (Freestyle-)Tanz als Praxis der kinetischen Entgrenzung denotiert und damit einen Widerspruch zu formulieren scheint. Doch genau aus dieser Dialektik ergibt sich eine ontologische Spannung, die wiederum in der dort situierten Kunst von Anita Frech Reibungshitze erzeugt. „Factory/Land“ spielt gleichermaßen in den devastierten Innenräumen wie auch in den umgebenden Außenzonen und macht die Spuren des Verfalls/ der Verwahrlosung sowie die Zeichen der industriellen Vergangenheit wie den riesigen Schornstein zum Teil der Inszenierung. Zum einen wird die Materialität eines Ortes in einem Transformationsprozess ausgestellt – von der Bewegung zum Stillstand, von der höchsten Leistungseffizienz zur Unproduktivität – zum anderen eine Serie von Mikro-Narrativen evoziert, in denen es um feminine Selbstermächtigung/ Selbstbehauptung geht (und dabei noch das romantische Doppelgänger-Motiv einbezieht): „Im Klo liegt eine Frauenleiche, meine, ich habe sie drapiert.“ schreibt die Künstlerin. „Ich trage Pelz und eine Löwinnenmaske auf barbusigem Löwinnenherz. Ich habe sie umgebracht, die, die mich aufgefressen hat, mit Haut und Haaren. Jetzt gehört sie mir, ich ficke sie, wie sie mich gefickt hat. Die Schlinge um meinen Hals. Um zu überleben, muss ich töten.“

Es gibt einen Spruch von Picasso, der gerne zitiert wird: „Ich suche nicht, ich finde.“ Dasselbe könnte man auch im Zusammenhang mit der Kunst von Anita Frech zur Anwendung bringen: Sie setzt sich dem Genius Loci oder, wenn man will, dem Horror vacui eines Ortes aus, der popkulturell mit einer Geschichte der Entgrenzungsenergien gesättigt ist, und lässt sich davon auf gewissermaßen paranormale Weise inspirieren. Gefunden wird zum Beispiel ein Vogelnest, das ein totes Ei beherbergt und als eine Art Kultgegenstand Teil der Inszenierung wird. An anderer Stelle der Fotoserie tauchen Schuhe auf – mal flache Halbschuhe, dann, in einer anderen Sequenz, die in einer ausgedörrten Wiese spielt, silberne High Heels, die durch eine spezielle Farbfilterung Rottöne verliehen bekommen. Es ist ist schwer, angesichts dieser Bilder nicht an den Film „Blue Velvet“ von David Lynch zu denken, und, wenn man die Puppe aus „Animal M.“ dazu nimmt, den Gedanken an einen Fetischcharakter dieser Werke zurückzuweisen. Das wiederum ruft den Künstler Hans Bellmer in Erinnerung, der während seiner gesamten künstlerischen Karriere immer mit dem erotisierenden Bild eines oft geschundenen weiblichen Körpers arbeitete. Für seine anarchistisch-erotischen Inszenierungen verwendete er Teile von Schaufensterpuppen, die er mit Holz, Metall und Gips zu fetischartigen Objekten hybridisierte. In einem ähnlichen Imaginationsraum, der allerdings durch die feminine Perspektive einen ganz anderen Spin erhält, spielt auch die Kunst von Anita Frech: Sie ist im besten Sinne mixed media, umfasst Zeichnungen, installative Aspekte, Performance und Fotografie, ohne dass ein Medium per se besonders hervortreten würde. Es geht nicht um die Darstellungsform, sondern um einen traumatischen Kern, der in der Arbeit umkreist, identifiziert und letztlich exorziert werden soll. Hier beginnen Raben aus Papier zu sprechen, Haarteile und Perücken aus Papier sind Teil eines Maskenspiels, bei dem unterschiedliche Identitäten übereinander geblendet werden und Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in eins fallen. Man könnte mit Georg Trakl sagen: „Da macht ein Hauch mich von Verfall erzittern.“

Es ist dieses Erzittern vor den Unzumutbarkeiten der Existenz, das der Kunst von Anita Frech ihre Dringlichkeit verleiht. So ist es nur folgerichtig, dass sie ihre Investigationen in die alptraumhaften Tiefen des Seins, begonnen in den vermeintlich idyllischen Zonen der österreichischen Provinz, die immerhin auch Figuren wie Fritzl hervorgebracht hat, wenig später in Los Angeles, dem James Ellroy-Land, wo schwarze Dahlien blühen fortsetzte. Wenn man diese Kunst im Kontext dessen, was sonst noch so der Fall ist, betrachten möchte, drängen sich Namen wie jener des sensationsgierigen Crime-Dokumentaristen Weegee, des Comic noir-Zeichners Raymond Pettibon oder des Dye Transer-Fotografen William Eggleston, der Farbe als selbstverständliche Wahrnehmungsbedingung etabliert, auf. Doch Referenzsysteme sind zweitrangig in einer Arbeit, die sehr individuell und solipsistisch Möglichkeiten, Grenzen und Erschütterungen des eigenen Seins zu ergründen versucht. Sie will einen Punkt markieren, an dem, wie Jacques Lacan schreibt, das Bild, die Illusion, dazu dienen, einen verwundbaren, traumatischen, also einen löchrigen, sich (unkontrolliert) öffnenden Körper und sein Inneres schützend abzudichten. „Das Bild soll einen Mangel verschließen und verschließt ihn nur zu gut, zu total und schafft so vielmehr eine neue, nunmehr unabschließbare Begehrlichkeit.“

 


 
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